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Wenn die Hälfte fehlt - Zwillingsthema

Die meisten belächeln dieses Thema im ersten Moment, viele reagieren verhalten bis ablehnend. Ich kann das gut verstehen, denn es ging mir früher ganz ähnlich. Dass während der Schwangerschaft ein so grosses Trauma entstehen kann, dass es das gesamte anschliessende Leben prägt und beeinflusst - ohne dass man sich bewusst daran erinnern könnte - das konnte ich mir früher kaum vorstellen.

 

Aber während meiner Ausbildung zur systemischen Aufstellungsleiterin bin ich dieser Thematik zum ersten Mal begegnet. Und ich lernte, dass unsere Erfahrungen, Gefühle und Prägungen nicht erst mit dem Tag der Geburt anfangen, sondern bereits im Mutterleib beginnen...  Die Herausforderung liegt darin, dass man das Thema des pränatalen Zwillings nicht mit dem Verstand verstehen kann. Man muss es mit dem Herzen fühlen...

 

Viele Menschen reagieren erst einmal zurückhaltend, vielleicht etwas skeptisch, wenn ich ihnen erzähle, was es mit dem Zwillingsthema auf sich hat und wie sich das in ihrem Leben äussern wird. Und während der Verstand verzweifelt versucht die passende Schublade für dieses Thema zu finden, fliessen plötzlich Tränen. Die Seele spürt das Gesagte und fühlt, dass endlich das fehlende Puzzleteil an seinen Platz findet.

 

Und so bitte ich Dich, den folgenden Text nicht nur verstehen zu wollen, sondern auch zu fühlen....

 

Viele Menschen wissen gar nicht, dass man inzwischen davon ausgeht, dass etwa jede siebte Schwangerschaft mit einer Zwillings- (oder Mehrlings-) Schwangerschaft beginnt. Es ist also eigentlich kein so seltenes Thema wie man vielleicht annehmen mag.

Nun kommen aber nicht ständig Zwillinge zur Welt, das heisst einer der beiden Föten verschwindet dann aber im Verlauf der Schwangerschaft wieder. Manchmal völlig unbemerkt, häufig ist es nur eine kurze Blutung der man keine grosse Bedeutung beimisst. Die Auswirkungen auf den „überlebenden“ Zwilling sind aber genauso prägend als ob das Geschwister physisch zur Welt gekommen wäre. Der Verlust seines Zwillings löst in jedem Fall ein Trauma aus, unabhängig davon ob dessen Körper physisch geboren wurde oder nicht. Man bezeichnet dieses Phänomen als „pränatalen Zwilling“, einen Zwilling, der also vor der Geburt da war aber nicht physisch zur Welt kommt.

 

Dieser Verlust ist deswegen so schwerwiegend, weil man einerseits keine bewusste Erinnerung mehr daran hat, sprich; es ist äusserst schwierig dem im späteren Leben auf den Grund zu gehen, wenn man gar nicht weiss, wo man überhaupt suchen soll. Und zum anderen ist dieses Trauma so tiefgreifend, weil es sich (unterbewusst) so anfühlt, als würde die Hälft von uns fehlen!  

 

Denn im Mutterleib und bis etwa zum 10 Lebensmonat hat das Baby noch kein "Ich-Bewusstsein". Es kennt noch kein ich und "das sind die anderen", sondern alles was es wahrnimmt ist Teil seines Bewusstseins und Teil vom Ganzen. Die Gebärmutter gehört genauso zum Baby selbst, wie eben auch der pränatale Zwilling der anwesend ist. Und wenn dieser pränatale Zwilling sich verabschiedet fühlt es sich für das Baby an, als ob es die Hälfte von sich selbst verloren hätte.

Aus diesem Grund ist es für Menschen mit dieser Thematik auch bezeichnend, dass sie häufig "für zwei" arbeiten, kämpfen oder essen. Man hat das Gefühl, immer mehr leisten zu müssen als andere und es ist trotzdem nie genug. Man fühlt sich verloren oder nur als "halber Mensch", stets ungenügend und von allem irgendwie "zu wenig"...

 

Die Gefühle von Verlustangst, Schuldgefühlen, Verloren sein, können von diesen Personen meist gar nicht zugeordnet werden. Man weiss überhaupt nicht warum man sich fühlt, wie man sich fühlt. Egal was man tut oder erreicht, man scheint trotzdem unvollständig sein. Egal was man leistet oder opfert, es wird nie genug sein... Die Blockaden, die dadurch entstanden, sind aber stets tiefgreifend und beeinflussen viele Lebensbereiche....

 

Ich kann Dir sagen, ich weiss wovon ich rede, denn ich habe einen pränatalen Zwilling! Durch eine systemische Aufstellung konnte ich diesem Thema auf den Grund gehen und ganz viele Situationen und Gefühle in meinem bisherigen Leben haben plötzlich einen Sinn ergeben oder konnten anders eingeordnet werden! Den Inhalt und Ablauf dieser Aufstellung würde hier definitiv den Rahmen sprengen, und ich glaube so eine Aufstellung muss man erlebt und nicht gelesen haben. Ich kann dir aber versichern, dass mir bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst war, wie weitreichend und tiefgreifend der Einfluss dieses Traumas gewesen ist! Und ich kann dir auch sagen, dass es für mich absolut keine Rolle spielt ob meine Schwester physisch zur Welt gebracht wurde oder nicht. Ich habe sie 35 Jahre lang ganz schrecklich (und unterbewusst!) vermisst ohne es zu wissen und dieser Verlust hat ganz viele Bereiche meines Lebens beeinflusst und blockiert.

Diesen frühen Verlust anzuerkennen, anzunehmen und noch einmal zu spüren, half mir sehr meine Gefühle und Verhaltensweisen anders zu betrachten. Und erst wenn man den Ursprung dieser übermächtigen Verlustangst oder dieses verloren seins, erkannt hat, hat man auch die Möglichkeit in Zukunft etwas zu verändern.

Dieses Thema kann man nicht mit seinem Verstand betrachten, denn für unseren rationalen Teil ist das sehr schwer nach zu vollziehen. Aber auf der Gefühlsebene wirst Du vielleicht berührt während du diesen Text liest….

 

Aufgabe des pränatalen Zwillings

Warum gibt es diesen pränatalen Zwilling überhaupt? Wieso werden viele von uns bereits im Mutterleib "traumatisiert" mit diesem ungewollten Abschied? Hierzu ein Erklärungsversuch aus der systemischen Arbeit und meiner eigenen Erfahrung:

 

Ich bin der Meinung, dass wir uns vorgängig unsere Leben, unsere Eltern und die Aufgaben denen wir uns stellen wollen, ausgesucht haben. Nun sind wir in allumfassender Liebe, mit allem verbunden und in völliger Freiheit. Und Unsere Seele ist frei und leicht und der Gedanke an unser nächstes Leben kann uns vielleicht Angst einjagen. Wir sollen wieder in einen engen, materiellen Körper. Im Vergessen. Und völlig hilflos und ohne die Spur einer Erinnerung an dieses ganze Vorhaben... Ich kann mir inzwischen sehr gut vorstellen, dass dies doch einiges an Mut und Überwindung kostet um diesen Schritt ins Ungewisse zu wagen...

 

Und genau dafür sind pränatale Zwillinge da! Sie begleiten uns ein Stück des Weges, man muss diesen ersten und schwierigsten Schritt ins Leben nicht alleine machen! Man hat Unterstützung und die Gewissheit, dass man nicht alleine ist. Kannst Du Dir auch vorstellen, dass es so viel leichter geht?

 

 

Es war aber nie der Plan, dass dieser Zwilling tatsächlich auf die Welt kommt, er sollte uns nur ein Stück begleiten. Und so wird er sich zum gegebenen Zeitpunkt wieder verabschieden und ganz in die feinstoffliche Welt zurückkehren. Aber über uns legt sich der Schleier des Vergessens - weil das die Spielregeln hier sind. Wir vergessen wer wir vorher waren, und was vereinbart war. Wir vergessen unsere Abmachung und erblicken das Licht der Welt mit einem tiefen und schmerzhaften Gefühl des Verlusts, ohne uns daran zu erinnern was der Grund dafür ist... 

Wenn Du gerne mehr zum Thema pränataler Zwilling wissen möchtest oder Fragen dazu hast, dann melde Dich einfach unverbindlich bei mir. (info@energieimzentrum.ch)

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Kommentare: 1
  • #1

    silke (Donnerstag, 08 September 2022 14:09)

    Das ist wunderbar, dass du dieses Thema aufgreifst. Bei uns in Deutschland ist das "Phänomen" eher unter dem Begriff "Verlorener Zwilling" oder "Alleingeborener Zwilling" bekannt und findet immer mehr Resonanz. Endlich, wie auch ich aus leidvoller Erfahrung berichten kann. Vielfach kann Heilarbeit nicht greifen, weil der entscheidende Baustein fehlt. Oder es finden kurzfristige Verbesserungen im Leben der Betroffenen statt und sehr schnell ist aber wieder alles beim Alten. Wie eine Spurrille, aus der man verzweifelt raus möchte, aber immer wieder zurückrutscht. Es ist so unglaublich heilsam, hier behutsam Licht ins Dunkel zu lassen. Auch wenn es anfangs schmerzt, seinen Zwilling oder seine Zwillinge wieder "zu finden", bedeutet es letztendlich, den Kreis allmählich schließen zu können.